VOM HOTEL INS KONZERTHAUS

Sitze auf der Bank am Meyerinckplatz, mein Ringbuch auf dem Schoß und kritzel mir meine Gedanken zurecht: im Konzerthaus am Gendarmenmarkt spielt heute das Zafraan Ensemble, ich moderiere den Abend. Als das Konzerthaus 1917 noch „Berliner Schauspielhaus“ hieß, spielte Hubert von Meyerinck dort seine ersten großen Rollen. Von 1920 bis in sein Todesjahr 1971 trat er in fast 300 Filmen auf, seine Courage ist legendär: mitten im Horror der Reichspogromnacht hat der schwule Schauspieler Juden versteckt, die um ihr Leben fürchten mussten.

Die Meyerinck-Gedenktafel am gleichnamigen Platz in Berlin

Die Meyerinck-Gedenktafel am Meyerinckplatz in Berlin. (Foto: M. Scheibe)

Dieses Wissen ergoogle ich mir aus Neugier, als das Smartphone dem Ringbuch die Attraktivität abläuft – und plötzlich leuchtet der Ort vor Bedeutung und das Mandelhörnchen von Alnatura schmeckt nach Freiheit. Auch schenke ich den vielen „Stolpersteine“ genannten Messingplaketten im Pflaster meine Aufmerksamkeit und lasse die Namen der von den Nazis Ermordeten in meinem inneren Ohr klingen. Die Namen malen Bilder auf die stuckbeschlagenen Fassaden und lassen mich hinter den Fenstern Lebensgeschichten phantasieren, die ganz real ausgelöscht wurden. Dieses nicht fassbare Grauen bringt Musik in mir hervor. Ich kann nichts dagegen tun, höre Töne wie Schreie und ratlose Rhythmen, ein einziges „Warum“ will sich in Klang verwandeln, um der Unerträglichkeit ein Ventil zu bauen.

Der Meyerinckplatz – ein Ort der Courage

Vor kurzem war wieder jemand ähnlich lebensmutig wie Hubert von Meyerinck und stellte sich in Würzburg einem Wahnsinnigen mit Messer in den Weg, um ihn am Morden zu hindern. Auch diese Nachricht klingt: in Fanfaren der Bewunderung, in satten Akkorden des Danks.

Ich muss heute Abend nur die richtigen Worte finden und die Namen der Ensemblemitglieder korrekt aussprechen, völlig ungefährlich. Das Privileg, hier sicher und frei leben zu können, habe ich auch dem unerschrockenen Kämpfer für die Menschlichkeit zu verdanken, der diesem kleinen, idyllischen Kraft-Ort seinen Namen schenkt. Ich werde heute Abend an ihn denken und im Glanz der Scheinwerfer davon träumen, auch mal ein Held zu sein. Während in mir ein Requiem klingt, das Hymne werden will.

Mark Scheibe

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