LEBEN IM HOTEL ART NOUVEAU

Eine Tasse frisch gemahlenen Kaffees im 4. Stock eines großzügigen Gründerzeithauses: ich genieße sie. Wirklich. Bewusst, mit allen Sinnen, ich lächle. Draußen zwitschert etwas, unter mir ruht ein Fischgrätenparkett, das bei jedem Sohlenkontakt Geschichten erzählen will, der stumme Stuck schaut von oben zu. Ich wohne im Hotel Art Nouveau, einem inhabergeführten Gasthaus mit etwa zwei Dutzend Zimmern und ein paar Suiten. Dies ist ab heute mein neues Zuhause.

Künstler und Dauergast Mark Scheibe beim Frühstück im Hotel Art Nouveau in Berlin
Foto von Eugen Bode

Nach einem holprigen, aber immerhin dreijährigen Versuch, mich in Brandenburg zu integrieren, habe ich der im Grunde idyllischen Halbinsel Werder an der Havel den Rücken gekehrt und lebe nun in Berlins schönstem Stadtteil – meinem Traum folgend, mich von Krempel und Kisten befreit der Fürsorge eines von Geschmack und Eleganz durchfluteten Hotels zu übereignen – in Charlottenburg! Eine Hymne habe ich dem Stadtteil bereits gedichtet:

Hymne für Charlottenburg

In Charlottenburg wünscht man dir einen guten Tag,

selbst die Obdachlosen geben sich gepflegt.

Der Briefträger ist einer,

der dir Nietzsche widerlegt.

 

In der Notaufnahme reicht man dir die Zeitung zum Tee,

in den Straßen dröhnen keine Gangsta-Beats.

Hier klingen Serenaden,

hier wirst du gesiezt.

 

Der Mauerpark ist ein Projekt,

In Mitte herrscht der Stress.

Am Ku’damm gibt’s Konfekt.

und ein Halstuch von Hermès.

 

Der Mann da am Savignyplatz ist doch ein Fernsehstar,

ist das nicht Judy Winter gleich dahinter?

Die kulturelle Zunft

tagt in der Bar jeder Vernunft.

Der Lebensgeist der Stadt

ist hier ein lebensfroh gesinnter.

In diesem Augenblick kommt ein Mann in den Raum: es ist Photograph Eugen Bode, er lichtet gleich in Zimmer 7 eine Schöne für die Vogue ab. Freundlicherweise schenkt er mir einen Augenblick seiner Kunst und nimmt mich für die Hotel-Webseite mit meinem iPhone ins Visier.

Artist in Residence im Hotel Art Nouveau

Hier will ich nun mindestens für ein Jahr als Artist-in-Residence leben und Gestalt werden lassen, was gefertigt sein will; Lieder, Orchesterwerke, Filme. Dabei begegne ich Psychotherapeutinnen aus der Schweiz, die einer Fortbildung wegen hier sind und mir heute schon inspirierende Gespräche schenken. Dem Friseur, der im Hotel die Geborgenheit findet, die zuhause fehlt. Dem pensionierten Unternehmer, der in aller Ruhe in die Tageszeitung taucht, der Drehbuchautorin, die beim Aperitif auf der Dachterrasse ihre Plot-Points prüft.

Die Erlebnisdichte in diesem Haus ist hoch – damit sie nicht nur ein Geschenk an die Erinnerung ist, veröffentliche ich hier jeden Sonntag meine wöchentliche Kolumne „Leben im Hotel“.

Viel Spaß beim Lesen!

Mit der besten Laune,

Ihr Mark Scheibe.

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