WHISKY IM WALDORF⸗ASTORIA

Wenn ich eine Weile keinen Alkohol trinke, sehe ich richtig gut aus. Das erscheint mir erstrebenswert. Zwar liebe ich den Rausch, aber ich möchte nicht aussehen wie ein aufgedunsener Playboy Spätlese und dabei noch nicht mal Millionär sein. Es ist also die reine Eitelkeit, die mich vor dem Sumpf der Sucht bewahrt, nicht etwa die Vernunft. Das ist mir wichtig! Denn für Schmeicheleien bin ich zu haben, auch vom eigenen Spiegelbild. Argumente hingegen sind so sexy wie deprimierte Finanzbeamte.  

Dass diese mich nicht erreichen, beweist das jährliche Desaster nach der Erkenntnis: Das aus dem Fenster geschmissene Geld war gar nicht meines und die Herrschaften vom Finanzamt hätten es gerne „wieder“. Wüchse mir mit jedem verschwendeten Hunderter ein Bündel grauer Haare oder bildete sich nach tausend verjuxten Euros eine hässliche Gesichtsrötung, wär ich gewiss ein Sparfuchs de luxe. Aber soweit sind die noch nicht beim Finanzamt. Das einzige Farbenspiel, dass die drauf haben, ist gelbe Briefe schicken, wenn ich meine lila Scheine woanders angelegt habe als bei ihnen. Zum Beispiel im WaldorfAstoria:

Heute tausche ich den romantischen Jugendstilaufzug vom Hotel Art Nouveau gegen den High-Tech-Lift des 118 Meter hohen Grand-Hotels am Ku’damm. Ich rase in den 15. Stock und lasse mich oben in ein teures Polstermöbel der Library Bar fallen. Roberta Flack singt in kristallklarer Klangqualität „Strumming my pain with his fingers“ und klingt dabei so edel und gesund, dass ich denke: wenn Schmerz so schön klingt, dann hätt ich gern ein Gläschen davon. Der Barmann stellt sich schon von Weitem vor: mit einer extraordinairen Melange aus Diskretion und einladender Attitüde ruft er so, dass es gerade laut genug ist „Herzlich Willkommen!“ Er empfiehlt mir nach kurzer Anamnese einen Misovari. Das ist ein japanischer Whiskycocktail auf gewaschenem Eis. Der Barmann ist ein so freundlicher Teufel, dass ich nicht widerspreche. Auch, wenn meine letzte Whisky-Erfahrung zwei Jahrzehnte zurück liegt: Mein Freund Christoph schenkte immer wieder Laphroaig nach, bis die grüne Flasche leer war und nach Torf nur noch roch.


„Guten Tag, ich bin Mark Scheibe, Komponist, Songwriter, Musikfilmemacher und romantischer Sänger am Klavier. Andere sagen, ich sei ein Flaneur, Dandy oder Träumer. Ich wohne schließlich im Hotel. Nach jeder 7. Übernachtung schreibe ich hier – über West-Berlin, Charlottenburg, das Leben im schönsten Boutiquehotel in der Nähe vom Bahnhof Zoo, über Begegnungen mit Gästen und was mir in meinem Künstlerleben als ‚Artist in Residence‘ in meiner Suite und beim Frühstück widerfährt.“


Am Folgetag mähte jemand in meinem Kopf Rasen. Ich hielt mich bei der Probe im Berliner Ensemble mit beiden Händen am Flügel fest, weil das stundenlange Sitzen so beschwerlich war. Der Regisseur beschimpfte einen von ihm als unbegabt entlarvten Schauspieler und empfahl Suizid. Im Theater sind Regisseure Götter. Sie brauchen zwar zum Erschaffen der Welt bis zur Premiere die vier- bis sechsfache Zeit wie in der Bibel, dafür hebt die Theaterleitung für diese Dauer aber auch die Menschenrechte auf.

Nüchtern kann man sich auch mit nur einer Hand am Flügel festhalten. Foto von Viktor Schanz

Die Atmosphäre hier im 15. Stock des WaldorfAstoria ist das genaue Gegenteil von der Theaterhölle am Schiffbauerdamm: Mit Blick auf den abgebrochenen Turm der Gedächtniskirche und Roberta Flack im Ohr ist der Choleriker auf der Probebühne nur noch die Karikatur einer Erinnerung. Der Misovari aber springt mich so ungut an, dass ich von fern schon den Rasenmäher höre. Ich lasse das Kunstwerk stehen. Ob der Barmann beleidigt ist, weil ich seine aufwändige Kreation verschmähe? Ich bin mir auch nicht sicher, ob er mir mit der Geschichte vom gewaschenen Eis nicht einen Berliner Bären aufgebunden hat. Jedenfalls habe ich sowenig von dem kostspieligen Drink genippt, dass er sich nicht physiognomisch auswirkt. Meine Finanzbeamtin wird stolz auf mich sein. Sie wirkt übrigens gar nicht deprimiert, sondern ist am Telephon immer ausgesprochen freundlich und geduldig, obwohl ich den Unterschied zwischen Umsatz und Einkommen immer noch nicht geschnallt habe . Trotzdem spüre ich eine gewisse Distanz. Vielleicht kann ich sie ja mal auf einen Drink einladen. Es gibt einen Cocktail, der heißt „Money Maker“. Ich bin sicher, der diabolische Experte aus dem 15. Stock weiß, wie man den zubereitet und was man dafür waschen muss, um das Eis zu brechen. 

Mark Scheibe

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