Der Trip als Taufe

Jetzt weiß ich, woran mich das Gemälde im Frühstücksraum des Hotel Art Nouveau erinnert! Als ich 25 Jahre alt war, nahm ich mit meinem Freund K. LSD – K. hatte das schon häufiger gemacht und versicherte mir seine verantwortungsvolle Rauschbegleitung. Was dann passierte, ist kaum zu beschreiben, es war, als spielten Raum und Zeit nur noch eine Nebenrolle.

Die Hitze des stickigen Augusttages hing in diese tiefe Nacht hinein und wir schwitzten in K.s Einzimmerwohnung auf Bremens Partymeile Vor dem Steintor. Durch die geöffneten Fenster drang der Lärm ausgelassener Leute, das rumpelnde Quietschen der um die Kurve fahrenden Straßenbahn und gelegentliche Polizeisirenen. Neben dem Fenster prangte eine gigantische Eistüte in leuchtenden Bonbonfarben, die ins Eiscafé im Erdgeschoss locken sollte.

Wir hingen halbnackt und schwitzend auf dem Boden rum und staunten über unsere sehr unterhaltsamen Halluzinationen – Wir hatten Glück: statt uns als paranoide Horrorzombies zu erleben, wurden wir Darsteller einer surrealen Komödie. K. streckte sich aus und legte seine rechte Hand hinter den Kopf, aus dem die Haarlocken nun wie Äste wuchsen und sich im Zimmer verloren. In seiner Achselhöhle bildete sich eine Vagina, die pausenlos Augäpfel ausspuckte, die wie Seifenblasen durch den Raum schwebten. Seine Augenhöhlen waren schwarze Meere mit tausenden kleiner Funkelsterne und aus den Lautsprechern floss die Musik von Errol Garner wie ein reißender, erfrischender Strom, in dem wir unsere schwitzenden Körper erfrischten. Ich schloss die Augen, aber nichts veränderte sich. Ich öffnete sie wieder, es machte keinen Unterschied, diese Bilder waren in mir und ich konnte sie sehen, ich musste sie sehen.



Dieses Bild von Elisabeth Kraus zitiert die irre Farbwelt eines LSD-Trips in den 1990er Jahren.


„Ich bin Mark Scheibe, Komponist, Songwriter und romantischer Sänger am Klavier. Andere sagen, ich sei ein Flaneur, Dandy oder Träumer. Ich wohne schließlich im Hotel. Nach jeder 7. Übernachtung schreibe ich hier – über West-Berlin, Charlottenburg, das Leben im schönsten Boutiquehotel in der Nähe vom Bahnhof Zoo, über Begegnungen mit Gästen und was mir in meinem Künstlerleben als ‚Artist in Residence‘ in meiner Suite und beim Frühstück widerfährt.“


Am Morgen hatte die Realität keine Chance, mit den Erlebnissen der letzten Nacht mitzuhalten. Ungeschickterweise musste ich nach Rügen, ich hatte ein Engagement als Barpianist in einem Grand Hotel angenommen. Noch erschüttert vom Rausch stieg ich in den Zug, um am Nachmittag auf der sonnigen Insel anzukommen.

Inmitten der 15 Meter hohen Lobby stand ein schöner Flügel auf schwarzem Marmor. Die Akustik war extrem: ließ jemand etwas fallen, machte das ungeheuren Krach. Ich spielte alles viel langsamer, um dem Raum gerecht zu werden. In Räumen mit langer Nachhallzeit spiele ich gerne langsamer, ansonsten entsteht Lärm in der Luft. So machen es auch die redekundigen Geistlichen in der Kirche. Tatsächlich wurde im Nachklang dieses Rausches das Hotel zu meiner Kirche. Das Frühstücksbuffet ist der Altar meiner Religion und der Zimmerservice ist Gott. Der Trip war eine Taufe. Die tägliche Marienerscheinung klopft mit dem Mantra „Housekeeping“ an meine Tür.

Mark Scheibe

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