IST EIN HOTEL DIE …

ZAPFSÄULE DES ZUHAUSEGEFÜHLS?

Tankstellen – allerorten ähnlich. Ein enger Ritus verlangt das immer Gleiche: Parken, Deckel auf, rein mit dem Stutzen, die Säule zählt ratternd, sprotzend schießt der Treibstoff in den Tank. Wer mag, atmet den Fata-Morganaduft, bis das Zapfventil nach dem letzten Tropfen zum Finale klickt. Ab in den Shop, rechts die Wischblätter und das Motorenöl, da ein Ständer mit Namenstassen, Schlager-CDs und Kuscheltierchen, irgendwo das Regal mit eingeschweißten Herrenmagazinen mit abgedecktem Cover, die Kasse steht neben dem Bockwurstaquarium und schnell ist man wieder weg.

Über die Lust, mit dem Fahrrad zur Tankstelle zu radeln, um Super bleifrei zu inhalieren, singt die deutsch-österreichische Band „Frau Sammer“. Das klingt so erfrischend, berührend und poetisch, weil die vier Frauen der Musik erlauben, eine Geschichte zu erzählen, die über den Text weit hinausgeht. Als wäre der Song ein Symbol für etwas noch Größeres. Ich muss augenblicklich an Frank Zappa denken, der feststellte, dass das Reden über Musik dem Tanzen zu Architektur gleichkommt, er hat recht und ich unterlasse das Beschreiben des Unbeschreiblichen; habe ich aber vielleicht das Interesse des Lesers an West-Berlin durch Neugier ergänzt? Auf diese poetische Pop-Band aus Österreich? Sehr gut. Ich traf das Ensemble überraschend in Graz und habe ein paar Takte gefilmt:

Die Honesty Bar im Hotel Art Nouveau

Morgen fahre ich wieder nach Hause, ins Hotel mit dem Schwan. Der Kaffee, der dort mit kraftvollem Brummen aus der italienischen Espressomaschine rinnt, ist auch ein Treibstoff. Hält man den heißgewordenen Bakelitgriff des fest eingerasteten Siebträgers und schließt dabei die Augen, spürt man die Verwandtschaft: der Griff vibriert wie die benzindurchpulste Zapfpistole. Statt Wischblättern sehe ich zu meiner Rechten ein erfrischend leuchtendes abstraktes Kunstwerk und ein paar Tageszeitungen ersetzen die schwiemeligen Erwachsenenheftchen. Auch kein Aquarium ist hier: aber die „Honesty Bar“, die zur vertrauensvollen Selbstversorgung allerlei spirituale Köstlichkeiten bereitstellt. Hier tanke ich Freude. In aller beschallungsfreien Stille übrigens, sodass die eigenen Klänge zwischen den Ohren hörbar werden und ich weiß: hier bin ich richtig.

Mark Scheibe

Gefällt Ihnen diese Kolumne? Tauschen Sie sich mit unserem Artist-in-Residence aus: www.facebook.com/markscheibemusik