Der pornographische Hebel

Ich liebe Logik! Wie wundervoll ist Wissenschaft! Die mechanische Wucht der Kausalität, wenn eine Handlung Konsequenzen hat. Die Verlässlichkeit einer Hebelanwendung. Von beeindruckender Folgerichtigkeit ist der mediale Lichtkegel, der gerade auf das bescheuerte Lied „Layla“ fällt. Was für eine bemerkenswerte Öffentlichkeit! Da kann man als Songschreiber nur neidisch werden. Als empörte Gesellschaft verhelfen wir gerade den beiden Partypäpsten Dj Robin und Schürze zu astronomischen Einnahmen. Mit einer Ohrfeigenmelodie aus den dunkelsten Kellern der Musikerfindung schaffen sie den Gegenwert einer sonnendurchfluteten Dachgeschosswohnung in Berlin-Mitte. Vorderste Chartsplatzierung dank großer Aufregung! Ich bitte um Entschuldigung, dass ich jetzt auch noch ins Horn stoße, aber ich muss. Es ist einfach zu schön. 

Was macht hier den Hype aus? Die beiden Ballermannbarden im Glück texteten „Die Puffmama heißt Layla, sie ist schöner, jünger, geiler“ und das Feuilleton faucht. Feministinnen fluchen. Sie beklagen die grölende Hässlichkeit, in der Männer wieder einmal Frauen „begutachten“. Ich verstehe das.

Die drei Besoffskis (70er Jahre) waren nicht weniger grob. Damit argumentieren auch die gerade sehr wohlhabend werdenden Produzenten. In „Olé, wir fahr’n in’ Puff nach Barcelona“ heißt es „Wir bumsen hier, wir bumsen da, tausend nackte Weiber auf dem Männerpissoir“. Nicht gerade eine adäquate Verherrlichung der Frau. Gunter Gabriel dichtete „Mädchen ab 30 lieben am besten, das musst du unbedingt mal testen“. Damals belächelte man den Truckerpoeten für seinen peinlichen Connaisseur-Song, der Frauen zu Mädchen und diese zu einer Art kulinarischer Ware macht, die man sich mal besser genauer unter die hungrige Lupe nimmt. Dann projizierte er auf die 30-jährige Frau (heute: „Milf“) noch das Bild einer Aufpassmutti, die einen vor Dummheiten bewahrt: „Sie fahren dich, wenn du blau bist, von der Party heim. Sie retten deinen Ruf und deinen Führerschein.“ Das schien niemanden sonderlich aufzuregen. Wer wollte, hörte sich das an. Wer nicht, wechselte den Radiosender.

Der Autor als 15-jähriger. In dieser Lebensphase hätte ihm das Lied „Layla“ sicher noch mehr Spaß gemacht. Photo: Mona M.

Das war die Zeit, in der Vibratoren noch Massagestäbe hießen. Im Versandhauskatalog sah man eine lächelnde Frau, die sich das Sexspielzeug, das so noch nicht heißen durfte, lächelnd an die Wange hielt. Den Gegenstand fand man unter der verklemmten Überschrift „Ehehygiene“ auf der Seite mit den Kondomen und Pornobüchern in Literaturverkleidung.


„Ich bin Mark Scheibe, Komponist, Songwriter und romantischer Sänger am Klavier. Andere sagen, ich sei ein Flaneur, Dandy oder Träumer. Ich wohne schließlich im Hotel. Nach jeder 7. Übernachtung schreibe ich hier – über West-Berlin, Charlottenburg, das Leben im schönsten Boutiquehotel in der Nähe vom Bahnhof Zoo, über Begegnungen mit Gästen und was mir in meinem Künstlerleben als ‚Artist in Residence‘ in meiner Suite, beim Frühstück oder auf Reisen widerfährt.“


Was für eine unbeholfene Zeit das war! Und heute? Sollten wir nicht gelassener sein? Wir leben doch nur, weil unsere Eltern einander geil fanden. Wir wurden auf die Welt gefickt. In unserer DNA wohnt eine Orgie. Von Begierde gepeitscht warfen sich unsere Eltern aufeinander. Sie waren angesichts der Aussicht auf lusttrunken machenden Sex bereit, einander um den Verstand zu vögeln. Vielleicht haben sie sich auch gegenseitig objektifiziert, das passiert manchmal im Endorphinrausch des Verlangens. Dessen sollten wir uns gewahr sein, finde ich. Und aushalten, dass wenig feinsinnige Betrunkene und kalkurierende Produktdesigner das in erschreckender Schlichtheit auf den Punkt bringen.

Das Lied „Layla“ wird irgendwann im Schatten historischer Playlists verschwinden. An die Künstlerin Layla Darboe aber erinnert man sich wahrscheinlich auch noch in 20 Jahren: Sie croont in „Creamy“ über einen Mann, den sie mag: „Er leckt mich, zeigt mir Gratitude, fickt mich, bringt mir Lemon Juice. Checkt mich, ja, er kennt mich gut.“ Das klingt bei ihr sehr magnetisch und bei aller Expliziertheit wie moderner, lustvoller Soul. Und nicht so, als hätte man die Akteure eines schnapsgebeizten Junggesellenabschieds mit Koitusversprechen zum Singen überredet.

 

Mark Scheibe

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