Economic Detox

Ich habe schon alles. Wahrscheinlich bin ich deswegen so ein miserabler Händler, mir fehlt der Need-Faktor. Ich habe schon alle Gegenstände, die ich brauche. Immer wenn ich glaube, ein Geschäft machen zu können, geht das so richtig nach hinten los. Im Hotel zu leben ist auch nicht gerade der höchste Ausdruck wirtschaftlicher Klugheit. Einmal, das ist schon sehr lange her, sprach mich ein Nachbar an, er habe eine sehr schöne Trompete zu verkaufen. Der Nachbar war, sagen wir es einmal wertungsfrei, ein Unternehmer mit eigenem Juweliergeschäft und von freundlicher Ausstrahlung. Trotzdem hatte er etwas an sich, das ältere Damen dazu gebracht hat, in seiner Nähe ihre Handtaschen etwas fester zu halten. 

Manchmal saßen in seinem Laden Gestalten, denen ich zutraute, dass man sie als überzeugende Inkassodienstleister bei hartnäckigen Schuldnern engagieren könnte.  Die Trompete hätte ihn 300 gekostet, 200 wolle er verdienen, für 500 gehöre sie mir und ein Blick ins Internet wies sie als deutlich wertvoller aus. Um die Ecke hatte ein berühmter Trompetenbauer seine Werkstatt. Ich schuldete ihm noch was, weil ich mal eine Tuba auf Pump bei ihm erworben hatte und die Trompete würde er sicher in Zahlung nehmen. Die 500 musste ich mir leihen, denn ich war pleite. 

Der Instrumenteningenieur wurde blass beim Anblick des goldglänzenden Luxusteils und ich dachte: wahrscheinlich erkennt er ein besonders seltenes Stück. Bestimmt eine Art Stradivari der Trompete, soetwas feines hatte der Meister gewiss schon lange nicht gesehen. Die Blässe kam aber vom Schock. Mit den nötigsten Worten gab er mir einen Zettel mit der Telephonnummer des Besitzers, der in der Nacht zuvor bestohlen wurde und den Händlern der Gegend schon bescheid gesagt hatte, dass sie sich melden sollen, wenn ihnen seine geliebte Trompete angeboten würde. 

Wenn du bei diesem Bild nicht weinen musst, bist du bereit für Economic Detox   (Foto: Johann H. Addicks, Wikimedia Commons)


„Ich bin Mark Scheibe, Komponist, Songwriter und romantischer Sänger am Klavier. Andere sagen, ich sei ein Flaneur, Dandy oder Träumer. Ich wohne schließlich im Hotel. Nach jeder 7. Übernachtung schreibe ich hier – über West-Berlin, Charlottenburg, das Leben im schönsten Boutiquehotel in der Nähe vom Bahnhof Zoo, über Begegnungen mit Gästen und was mir in meinem Künstlerleben als ‚Artist in Residence‘ in meiner Suite und beim Frühstück widerfährt.“


Der weitere Lauf dieser Geschichte war ein katastrophaler. Der Musiker bekam von mir sein Instrument zurück und war voller Adrenalin. Er tobte, von Vergeltungsabsicht erfüllt. Er wollte natürlich wissen, woher ich sein Goldstück hatte und den vermeintlichen Dieb stellen. Dass ich es in bester Absicht gekauft hatte, löste in ihm leider nicht den Impuls aus, sich erkenntlich zu zeigen und meinen Verlust zu erstatten. 

Mein Nachbar sagte mir, er hätte das Instrument ganz normal von jemandem gekauft, könne sich aber nicht mehr erinnern, von wem jetzt genau. Er machte aber deutlich, dass er es wenig unterhaltsam gefunden hätte, wenn ich ihm einen tobenden Trompeter in den Laden geschickt hätte, dem dann neugierige Kriminalbeamte gefolgt wären. Die tauchten nämlich bei mir auf, ich verschwieg ihnen aber meine kostspieligen Kontakte ins Verbrechermilieu.

Ein paar Wochen zuvor hatte ich ähnlich geschickt angeblich luxuriöse Lautsprecherboxen von zwei sympathischen Ganoven in einem Transporter gekauft, das ganze Elend jenes brillanten Coups ist in einer anderen Kolumne nachfühlbar erzählt.

So war das schon immer. Ich könnte von der teuersten Videokassette der Welt erzählen, die an jedem Tag nach der Rückgabefrist eine Gebühr verursachte, die sich nach einer Weile zu einer grotesken Summe addiert hatte. Große Summen haben Gravitation und ziehen andere große Summen an, Gerichtskosten, etc. 

Das musste ich auch erleben, als mir ein Steuerberater mit einem gewissen Golfclubhabitus mal nahelegte, in die private Krankenversicherung zu wechseln. Er überzeugte mich von der glänzenden Entwicklung meiner Karriere und malte mir den Horror aus, den Beinbruch als Kassenpatient vom Hausmeister geschient zu bekommen. Im zugigen Krankenhausflur, in den mich eine borderlinige Pflegerin hineingeparkt hätte, die mich so anschaute, als ob sie meinen Körper nach verkaufbaren Organen absuchte . Als Privatpatient würde ich von Nobelpreisträgern operiert und hätte anschließend erotische Brieffreundschaften mit aufregenden Nachtschwestern. Kurz, er hatte mich überzeugt, ich war dann Privatpatient. 

Irgendwann konnte ich die Beiträge nicht mehr zahlen, ausdauernde Champagnerinvestitionen erwiesen sich im Nachhinein als ungute Geldanlage. Nach einigen Jahren präsentierte mir das Unternehmen eine schockierende fünfstellige Summe. Beiträge, die einfach weitergelaufen sind. Die Schwerkraft dieser Forderung zog die Buchhalter mehrer Anwaltskanzleien und Gerichte an, die den absurd hohen Betrag zu verdoppeln imstande waren. 

Ich frage mich, ob es für dieses besondere Talent von mir einen Markt gibt. Ich sollte ein Sachbuch schreiben: „Insolvent in 14 Tagen – das Abenteuer Großzügigkeit“. Denkbar sind auch Seminare: „Economic Detox – Loslassen lernen durch Free Spending“. Ich könnte eine Online-Akademie zur Befreiung vom Diktat des materiellen Überfluss’ gründen: „Waste your money – free your mind“. Doch was machte ich dann mit dem ganzen Geld, das mir hintergeworfen würde? Ich habe doch schon alles – und alles andere krieg ich im Hotel.

Mark Scheibe

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