Mephistos for future

Im Spielcasino Bremen konnte man früher an der Rezeption eine Krawatte leihen. Ohne Schlips kein „Rien ne va plus“. Bei der Bundeswehr war Kurzhaarschnitt Befehl, das hatte etwas mit Männlichkeit zu tun.  Als ich ein kleiner Junge war, konnten Männer mit langen Haaren noch richtig Ärger bekommen. Als Schüler musste ich mal mit dem Musik-Kurs in die Oper, Don Giovanni von Mozart. Ich trug eine kurze Hose und Roller Skates. Ich gefiel mir in meiner provokativen Attitüde. Ich fand, dass ich das Recht dazu hatte, als junger Komponist so zu sein wie ich bin, unter all den verkleideten Bildungsbürgern, die das Werk meines berühmten Kollegen nur konsumieren, aber nicht verstehen. 

Mozart war bekanntlich ein Rebell: er ließ sich nichts vorschreiben und trug die Haare so wie es ihm gefiel. Das kommt heute nicht immer gut an. Die Modeexperten von „Fridays for future“ haben die Musikerin Ronja Maltzahn wegen ihrer Frisur der Bühne verwiesen. Es stünde ihr als weißer Person nicht zu, Dreadlocks zu tragen, weil sie damit die Sklaverei verharmlose, so die wachsamen Klimaaktivisten. 

Sie warben bei der Künstlerin um Verständnis: wenn sie sich die Haare abschnitte, dürfe sie selbstverständlich aber doch auftreten. Wenig später bissen sie sich dann auf die sexistisch errötete Zunge, werden doch seit jeher Frauen wegen ihres Äußeren diskriminiert. Der erregten Gruppe fiel im Nachhinein auf, wie übergriffig und gönnerhaft ihre Offerte war. 

Frisurelle Aneignung: ganz oben auf der Liste der No-Gos. Photo: Wikimedia Commons   

Ich finde das amüsant. Da wollen ein paar Leute alles richtig machen, tolerant sein, Unterdrückte beschützen, wertschätzend die Welt umarmen; dann passiert das Gegenteil. Wie bei Fausts Mephisto, nur umgekehrt – „wir sind ein Teil von jener Kraft, die stets das Gute will und stets das Böse schafft“, könnten die FFFs nun in ihre Poesiealben schreiben. 

 


„Ich bin Mark Scheibe, Komponist, Songwriter und romantischer Sänger am Klavier. Andere sagen, ich sei ein Flaneur, Dandy oder Träumer. Ich wohne schließlich im Hotel. Nach jeder 7. Übernachtung schreibe ich hier – über West-Berlin, Charlottenburg, das Leben im schönsten Boutiquehotel in der Nähe vom Bahnhof Zoo, über Begegnungen mit Gästen und was mir in meinem Künstlerleben als ‚Artist in Residence‘ in meiner Suite, beim Frühstück oder auf Reisen widerfährt.“


Dabei ist den antikolionalistischen Sittenwächtern entgangen, dass Ronja Maltzahn nicht nur frisurell kulturelle Aneignung betreibt. Sie erntet Komplimente für eine Haartracht, wegen der schwarze Menschen rassistisch beleidigt werden, ist schon klar – sie zitiert aber auch Musikstile, die zweifelsfrei nicht ihr gehören. In „Mr. Doubtful“ ihres Albums „Worldpop“ lässt die Sängerin aus Bad Pyrmont einen Shuffle klingen. Einen Rhythmus, der im afroamerikanischen Blues seine Wurzeln hat, und nirgendwo sonst.

Dass sie auf demselben Album in „The Frog and the Bird“ gleich zu Beginn die hawaiische Ukulele benutzt, kann man als weltoffener Musikwächter nur zynisch finden. Ist dies doch eine klingende Verhöhnung der indigenen Unabhängigkeitsbewegung des 50. Staats der USA. Aber wen wundern diese unsensiblen kulturellen Inbesitznahmen bei einer gebürtigen Bad Pyrmonterin?

Die Kurstadt mit der Glücksspiellizenz ist schließlich seit dem 17. Jahrhundert ein Erholungsort für die Oberschicht. Im Bad Pyrmonter Spielcasino ist man dabei vergleichsweise locker: „Wir freuen uns, Sie in gepflegter Freizeitkleidung zu begrüßen.“ heißt es dort. Frisur egal.

Mark Scheibe

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