Über postdramatisches Theater und Ebay-Kleinanzeigen

Eigentlich wollte ich eine Kolumne über den robusten Umgangston auf Ebay-Kleinanzeigen schreiben. Wenn man Langeweile hat, braucht man nur ein Inserat zu veröffentlichen. Einen populären Gegenstand für wenig Geld einstellen, z.B. einen Pax-Kleiderschrank von Ikea, ein altes Macbook, etc. Ich hatte vor einiger Zeit meinen Flügel inseriert, bevor ich ins Hotel gezogen bin. Zur Anschauung postete ich noch einen Link zu einem Video, auf dem ich einen Jazzsong singe und das Instrument gut zur Geltung kommt. Dann kamen ein paar offensichtlich betrügerische Offerten von angeblich interessierten Käufern, denen man erstmal eine Gebühr ins Ausland überweisen muss, damit sie eine Spedition beauftragen, vorbeizukommen und bar zu zahlen. 

Dann wollte ich von dem Anrufer berichten, der seine Kritik über meine Darbietung auf dem Video loswerden wollte. „Dit Klavier klingt ja jut, aber dit Video is ja ooch eher spezjell jetz. Ick meine, wie du singst, dit is jetz nich total scheiße oder so, aber ebent janz schön spezjell, nischt füa unjut. Aba dit Klavier is eh zu teuer.“ Da darf man als Verkäufer nicht sensibel sein, auf Ebay-Kleinanzeigen geht es zu wie auf einem surrealen Sklavenmarkt. Den Anrufer habe ich mit ein paar scharfen Sätzen zum Schweigen gebracht, er hörte aber nicht auf, mir zu schreiben.

Mittlerweile hatte er mir mitgeteilt, dass er mich nicht beleidigen wollte und es ihm leid täte, wenn ich da etwas in den falschen Hals bekommen hätte. Er hatte sich schon ein anderes Video von mir angesehen, das fand er super. Im Vergleich zu dem anderen, das betonte er. Jetzt fühlte ich mich schäbig, weil ich dem ungefragten Rezensenten eine so bissige Abfuhr erteilt hatte und bedankte mich beschwichtigend. Dann erinnerte der bewertungsfreudige Ebayer aber nochmal daran, wie strange das andere Video ist und dass meine Stimme echt komisch klingt und welchen Sänger ich da eigentlich parodiere. 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Sarah Bernhardt als Hamlet und ein Totenkopf bei Ebay-Kleinanzeigen (Fotos: Wikimedia Commons)


„Ich bin Mark Scheibe, Komponist, Songwriter und romantischer Sänger am Klavier. Andere sagen, ich sei ein Flaneur, Dandy oder Träumer. Ich wohne schließlich im Hotel. Nach jeder 7. Übernachtung schreibe ich hier – über West-Berlin, Charlottenburg, das Leben im schönsten Boutiquehotel in der Nähe vom Bahnhof Zoo, über Begegnungen mit Gästen und was mir in meinem Künstlerleben als ‚Artist in Residence‘ in meiner Suite und beim Frühstück widerfährt.“


So sollte also meine Kolumne beginnen. Beim Schreiben missfiel mir aber der negative Touch, der klagende Stil, die Tristesse des Sujets. Ich schreibe schließlich, um zu unterhalten! Ich will der Walt Disney der Kolumne sein. Ich stand allerdings noch unter dem Eindruck einer erschütternden Theateraufführung, einer zweieinhalbstündigen Text-Tortur, die meine Laune verfinstert hatte. Wenn man ins Theater geht, sollte man anschließend nicht schlechter drauf sein als vorher, finde ich. Ich fühlte mich von Regiebösewichten seelisch vergewaltigt und geriet in den Schluchzmodus. Ich grub also nach einem Gegengift zu dem toxisch wirkenden Schauspiel und versuchte, den Kleinanzeigenfeuilletonisten zu vergessen.

Auch über die Bühnenfolter und die postdramatischen Textflächen wollte ich hinwegkommen. Der Theateralbtraum begegnet mir immer wieder. Als man mich einmal an einem großen Schauspielhaus ein Drama vertonen ließ, durfte ich dafür ein Orchester plus Opernsängerinnen beschäftigen. Bei einer szenischen Probe fragte mich eine Sopranistin aus Armenien, warum im Theater bei uns alles immer so hässlich sein müsse.

Ich suchte die Antwort in dem Akt, der gerade geprobt wurde: Ein Schauspieler mit Adolf-Hitler-Maske brüllt in ein Mikrophon, während er auf einem gynäkologischen Stuhl liegt und ein vor Blut triefendes Monster gebärt, das von Hebammen mit Totenschädeln triumphierend in die Höhe gehoben wird. Eine der Hebammen hat einen Karl-Marx-Bart und kichert. Dabei kriechen ein paar Leute auf allen Vieren über die Bühne und bellen, ein Mädchen macht Pipi. Auf High-Heels und mit Krücken stöckelt eine Raucherin mit verschmiertem Lippenstift in den Vordergrund und ruft: „Die Notdurft der Unterschicht ist das Parfum der herrschenden Klasse! Ficken!“ Selbstverständlich dudelt dazu ein verzerrter 50er-Jahre-Schlager aus einem imaginären Radio in Dauerschleife. Dazu Schmerzensschreie und gebrüllte Befehle, knallende Stiefel auf hohlem Bühnenholz. 

Ich erlebe ständig so etwas, wenn ich ins Theater gehe, keine Ahnung, warum. Immer wird rumgebrüllt und ich soll zum Nachdenken gebracht werden. Anschließend steht man mit ernster Attitüde im Foyer und führt Gespräche über die Neuordnung der Gesellschaft. 

Ich glaube, auf Ebay-Kleinanzeigen findet sie schon statt.

Mark Scheibe

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