Über Niveau / mein erster Witz

Vorgestern ist meine neue Platte erschienen. Ich sage lässig „Platte“, weil es sie auch in Gestalt einer LP gibt, die man schön ausklappen kann. Es gibt eine Innenhülle, auf der die Texte stehen, so wie früher. Die Entwicklung, Aufnahme und Produktion des Albums hat zwei Jahre gedauert und ein Vermögen gekostet. Zum Glück haben Freundinnen und Gefährten mich finanziell unterstützt, so konnte ich ein Drittel der Produktion über Crowdfunding finanzieren. Bekanntlich ist das tollste Produkt aber nichts wert, wenn es keiner kennt. Dem Himmel sei dank konnte ich eine Promoterin überreden, die sich große Mühe gibt, die Presse für mich und mein Album zu begeistern.

Regelmäßig ruft sie an, um zu berichten, dass sich weder das Feuilleton der „NZZ“ noch der „Spiegel“ und auch nicht „Aspekte“ für mein Album interessieren, auch „db Mobil“ lehnen „das Thema“ ab, wie es branchenlinguistisch heißt. Einzig eine bestimmte Illustrierte sei eventuell interessiert, ein Photo von mir zu bringen. Eine Wochenzeitung vom unteren Rand der journalistischen Grundversorgung, mit der größtmöglichen Distanz zu „F.A.Z,“ „Zeit“ und „Philosophie heute“. Und außerdem ohne Kulturredaktion. Aber in der Rubrik „Promi-Witz der Woche“ könnte mein Bild neben einem noch zu findenden Kalauer stehen. Keine musikwissenschaftliche Analyse meiner gekonnten Streicherarrangements, nicht die hymnische Empfehlung für den Preis der deutschen Schallplattenkritik, kein Portrait im Deutschlandfunk. Immerhin ein Witz!

Hier zwei Beispiele gelungenen Humors.

Meine feinfühlige Promoterin transportiert die Anfrage sehr vorsichtig. Sie weiß, dass ich mich in einer Linie mit Gustav Mahler, Richard Wagner und Frank Sinatra sehe und mir in Gesellschaft der Geissens, Andy Borg und dem Wendler künstlerisch ein bisschen fremd vorkomme. Mein Verhältnis zu jeder Art von Presse ist aber vergleichbar mit einem seit Tagen in der Wüste Umherirrenden zum Wasser. Ich schreie „ja!“, bevor sie die Frage beenden kann. Ich mache alles für ein bisschen Fame! Einen Witz erzählen ist keine große Sache. Obwohl ich mir schon als Kind blöd vorkam beim Witze erzählen. Diese künstliche Passivität, in die man sein Gegenüber zwingt, ist, wie man heute sagt, cringe. Die Degradierung des Zuhörers zum Stichwortgeber, der auf eine intelligente Frage wie „Warum haben Blondinen nur vier Gehirnzellen“ „keine Ahnung!“ zu entgegnen hat, bevor die geniale Punchline „für jede Herdplatte eine!“ semikarthatisches Lachhüsteln hervorbringt, ist die reine Scham. 


„Ich bin Mark Scheibe, Komponist, Songwriter und romantischer Sänger am Klavier. Andere sagen, ich sei ein Flaneur, Dandy oder Träumer. Ich wohne schließlich im Hotel. Nach jeder 7. Übernachtung schreibe ich hier – über West-Berlin, Charlottenburg, das Leben im schönsten Boutiquehotel in der Nähe vom Bahnhof Zoo, über Begegnungen mit Gästen und was mir in meinem Künstlerleben als ‚Artist in Residence‘ in meiner Suite, beim Frühstück oder auf Reisen widerfährt.“


Stark ist Humor, wenn er einen unverhofft anspringt. Wie in den ersten Sätzen von Bob Odenkirks Autobiographie. In „Comedy Comedy Drama“ schreibt der Saul-Goodman-Darsteller aus „Breaking Bad“:

„Wie beginnt man ein Buch? Ein Buchstabe, ein Wort, bald ein Satz, dann noch einer, und plötzlich entsteht ein Absatz, ein Absatz mit zwei Sätzen. Dickens, Melville, Odenkirk – alle standen vor der gleichen Frage, und nur einer ist gescheitert. Melville. „Nenn mich Ismael.“ Und ich wollte schon aufgeben.“

Für die Anfrage des Heftes mit dem RTL-II-Publikum will ich wie Bob Odenkirk selbst Komödiant sein. Nach drei Tagen Entwicklung komme ich zu folgendem grandiosen Gag mit einer furiose Pointe:

Warum haben Katholiken in letzter Zeit so ein zufriedenes Lächeln auf den Lippen? Der Vatikan hat bekanntgegeben, dass aus Energiespargründen das Fegefeuer ausgestellt wird.

Ich bin gespannt, ob das Wochenmagazin, das mit der Bildungsferne flirtet, meinen Scherz druckt. Ich empfehle geneigte Lesende, den extrem zeitgemäßen Zweizeiler von hohem Niveau konfessionsübergreifend auf Wirkung zu prüfen. Ein kleiner Bericht würde dem Wissenschaftler in mir Freude bereiten. Ich wünsche einen herrlichen Sonntag!

Mark Scheibe

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